Deutsch auf der Zuckerinsel

Brief aus La Reunion
Von Martínus Schmidt

Frankreich ist ein bisschen so wie Bremen - weit entfernte Exklaven, aber dazwischen vieles, das nicht dazugehört. Elf Flugstunden von Paris liegt die Zuckerinsel Réunion, zwischen Madagaskar und Mauritius, im Indischen Ozean. Aber nicht das erste Aussteigerprogramm für gewaltbereite Seeräuber vor 350 Jahren oder der gerade wieder aktive Vulkan im Südosten, der das Eiland durch das ins Meer fließende Magma allmählich wachsen lässt, machen das La Réunion so interessant, sondern dies: On parle allemand - man spricht Deutsch. Das von Afrikanern, Mulatten, Indern, Europäern und Chinesen bewohnte Departement ist das Einzige in Frankreich, in dem die Zahl der Deutsch-Studierenden steigt. 10 000 junge Leute sind es, die es mit dem unleidlichen germanischen Idiom versuchen, von dem Französischliebhaber Friedrich II. nur meinte, es sei eine Sprache für Soldaten und Pferde.

Eine deutsch-französische Woche führte jetzt Jugendliche beider Länder auf der winterlichen Insel Réunion zusammen. Veranstalter war das Deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW). 90 Schüler, Studenten und Menschen in der Berufsausbildung aus Deutschland und 200 aus Frankreich einschließlich Überseedepartement trafen sich zum Forum Wissenschaft, Technik und Kultur. Die Sonnenfinsternis regte Technikforscher vom Berliner Technischen Jugend-Freizeit- und Bildungsverein zu Untersuchungen an, wie die Ausbreitung elektromagnetischer Wellen dadurch beeinflusst würde. Manche Insulaner hörten zum ersten Mal Bachs Orchestersuiten vom Jungen Ensemble Berlin oder Salonmusik der Erdinger Musi als Begleitung zur deutschen Weinprobe im "Maison du Monde" in Saint-Denis.

Nicht nur vordergründige Touristenverständigung erweckt das Interesse an Deutsch auf der Insel, sondern auch die Schönheit der Sprache, wie die 20 Jahre alten Studentinnen Alice Pasquet und Ellen Hoarau versichern. Sie lieben an Deutsch "den lyrischen Klang". Lehrer wie Joachim Schäfer, der bis 1999 am Französischen Gymnasium in Bonn unterrichtete und nicht nach Berlin umziehen wollte, können ihre Schüler begeistern. Der 41-Jährige gibt neben Deutsch als Fremdsprache Lateinisch und Ökonomie - mit Deutsch als Unterrichtssprache. 160 Lehrende an 17 Gymnasien und der Universität Saint-Denis haben sich in der ACAR (Amies de la Culture Allemande à la Réunion) zusammengeschlossen, und an der Uni hält Professor Michel Polényk sogar Geschichtsvorlesungen "en allemand" ab.

Der Boom gegen den französischen Trend ist der Schulrätin Christane André zu verdanken, die nicht müde wird zu verbreiten, wie wichtig die Sprache Goethes und Schillers - im 19. Jahrhundert noch "lingua franca" der Wissenschaft und Künste - für die Bewohner von Réunion sein kann. Das DFJW, das nach dem von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle geschlossenen Elysée-Vertrag 1963 gegründet wurde, verlieh der Schulamtsinspektorin jetzt die Medaille für deutsch-französische Zusammenarbeit. Bei allem Lerneifer für Deutsch - eines verstehen die Franzosen kaum, die schon mal in Deutschland waren: die allgegenwärtigen englischen Ausdrücke. In Frankreich muss jeder kleine Werbespruch wenigstens als Fußnote noch übersetzt werden.

Quelle: Die Welt vom 07.08.01